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Hartz IV: Aus dem Gleichgewicht

Leitartikel der Südwest-Presse Ulm - Autor: TANJA WOLTER | 28.11.2012

Mit einer ungewöhnlichen Zusatzleistung verursachte dieser Tage das Jobcenter Dortmund Schlagzeilen. "Jede Aufnahme einer Beschäftigung wird mit 200 Euro belohnt!", stellte es seinen Arbeitslosen per Handzettel in Aussicht. Um "offensive Werbung" für die staatlichen Hilfen sollte es sich dabei handeln - tatsächlich sind individuelle Zahlungen, etwa Zuschüsse für berufsbedingte Anschaffungen, möglich.

Mit seinen Prämien ist das besagte Jobcenter aber nicht nur "über das Ziel hinausgeschossen", wie es die Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg formuliert. Es hat auch genau dem Vorurteil neue Nahrung gegeben, Hartz-IV-Empfänger seien faul und müssten zur Erwerbstätigkeit getrieben werden. Dabei versucht die BA derzeit eigentlich, dieses weit verbreitete Ressentiment mit groß angelegten Umfragen und Kampagnen zu entkräften.

57 Prozent der Deutschen sind der Auffassung, dass Hartz-IV-Empfänger bei der Jobsuche zu wählerisch sind. 55 Prozent glauben, dass Arbeitslose keine Eigeninitiative zeigen und im Umkehrschluss "nichts Sinnvolles zu tun haben". Das ist laut einer Allensbach-Umfrage das Bild, das die Mehrheit von Langzeitarbeitslosen hat. Mit den Erfahrungen der BA hat das wenig zu tun: Demnach ist für 75 Prozent der Menschen in der Grundsicherung Arbeit das Wichtigste in ihrem Leben. Mehr als 70 Prozent sind bereit, einen Job unterhalb ihrer Qualifikation anzunehmen und 62 Prozent bewerben sich ohne Aufforderung.

Die Berufswelt kennt Arbeitsscheue, die Schwieriges lieber Kollegen überlassen und sich dann auf fremden Lorbeeren ausruhen. Und ja, natürlich gibt es auch Hartz-IV-Empfänger, die nicht arbeiten wollen. Das ist nicht nur ärgerlich für Steuerzahler, sondern es ist auch Aufgabe eines Sozialstaates, gegen Missbrauch vorzugehen. Doch genauso wie Drückeberger am Arbeitsplatz eine kleine Minderheit sind, verhält es sich mit Hartz-IV-Empfängern. Das per se schlechte Image von Menschen, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind, hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun.

Daran ändern auch die Sanktionen nichts, die neue Rekordstände erreichen. Sie sind kein Indiz für zunehmende Faulheit, vielmehr ein Hinweis darauf, dass die Jobcenter die Zügel angezogen haben und die zwei Pfeiler des Prinzips "Fördern und Fordern" nicht mehr so gleichgewichtig nebeneinanderstehen, wie es die Hartz-IV-Gesetzgeber ursprünglich mal angedacht hatten. Die Mittel für die Arbeitsmarktförderung wurden in den vergangenen zwei Jahren um Milliarden gekürzt, weitere Einsparungen sollen folgen. Träger von Eingliederungsmaßnahmen haben bereits viele Programme für Langzeitarbeitslose streichen müssen, manche gingen gar in die Insolvenz. Zugleich wurde in den Jobcentern Personal abgebaut - in der Verwaltung und Betreuung. Was heißt "Fördern", wenn auf fast 4,5 Millionen erwerbsfähige Hartz-IV-Bezieher 3000 besonders qualifizierte Berater - sogenannte Fallmanager - kommen?

Es gibt einen harten Kern von Langzeitarbeitslosen, die seit vielen Jahren Hartz IV beziehen. Er verkleinert sich auch in Phasen der Hochkonjunktur nicht wesentlich. Diese Menschen brauchen intensive Betreuung. Und sie brauchen Instrumente, die auf ihre Möglichkeiten zugeschnitten sind. Wer Hartz IV erhält, muss alles tun, um die Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung schnell zu beenden. Dieser Leitgedanke der Hartz-Reformen ist grundsätzlich richtig. Arbeitslosigkeit darf nicht als normal abgehakt werden. Doch unsere auf Spitzenleistungen gepolte Gesellschaft und unsere hochspezialisierte Arbeitswelt lassen kaum noch Raum für diejenigen, die nicht perfekt funktionieren. Hier ist der Staat gefragt - als helfender Partner, nicht als Gegner.

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