Leben wir in einem armen Land?
Acht Millionen Mitbürger in Deutschland können nicht von ihrem Lohn leben, lese ich. Und dass Kinderarmut ein immer größeres Problem wird. Und dass Tafelläden und die Vesperkirche immer größeren Zuspruch haben, weil die Zahl der Bedürftigen ständig wächst.
Auf der anderen Seite lese ich, dass die riesigen Vermögen von Wenigen immer noch riesiger werden. Sollte das zusammenhängen?
In der Bibel lese ich viele Äußerungen wie diese (beim Propheten Jesaja, Kapitel 5): „Weh denen, die sich ein Haus nach dem andern hinstellen und ein Feld nach dem andern kaufen, bis kein Grundstück mehr übrig ist und sie das ganze Land besitzen! Ich habe gehört, wie der Herr, der Herrscher der Welt, geschworen hat: ‚Die vielen Gebäude sollen verwüstet werden, die großen und schönen Häuser leer stehen!‘" Die Propheten waren für Ausgewogenheit zwischen Armut und Reichtum, weil sonst das ganze Sozialgefüge ruiniert wird.
In einer Zeitung sah ich letzte Woche ein Bild, auf dem zu erkennen war, dass Leute vor dem Bundestag in Berlin einen Haufen Mist aufgetürmt hatten. Auf einem Transparent war zu lesen: „Reichtum ist wie Mist! Auf einem Haufen stinkt er, gut verteilt bringt er das Land zum Blühen!" Ich finde, diese Sätze könnten auch in der Bibel stehen.
Ich bin froh, dass uns unser Glaube zu eindeutigem Reden und Handeln ermutigt und dass viele Christen und kirchliche Gruppen sich diesem Thema widmen. Einerseits durch konkrete Unterstützung, andererseits durch Aufklärung über die Strukturen, die zu den Armutsproblemen führen. Auch unsere evangelische Landessynode in Württemberg hat dies 2010 mehr als deutlich ausgedrückt in der Erklärung: „Reichtum braucht ein Maß, Armut eine Grenze". Schon dieser Titel spricht eine deutliche Sprache. Die ganze Erklärung nimmt Partei für ein menschliches Miteinander und fordert uns als Christen auf, neu über die Form wirtschaftlichen Handelns nachzudenken.
Jürgen Hennig, Pfarrer in Hohenstaufen